Wie die Heilerin erahnt hatte, war Honigstern interessiert an dem, was sie zu sagen hatte. Engelsflügel konnte die genauen Regungen des Gesichts ihres Gegenübers zwar nur vage erraten, doch eine Gewissheit wurmte sich in ihr Herz, als könnte sie es riechen (was auch gar nicht unwahrscheinlich war).
Ihre Mundwinkel zuckten, ganz so, als wolle sie sogleich die Worte der Ahnen aussprechen, doch sie hielts ich zurück, als sie bemerkte, dass ihre Anführerin erst einmal abzuwägen schien, wie sie verfahren wollte. Ungeduld kribbelte in den Ohren der alten Kätzin, doch sie zwang sich dazu, zu schweigen, und nicht einfach zu handeln. Respektvoll zu sein, in Zeiten, in denen sie lieber den Respekt überspringen wollte, um zu einem Ziel zu gelangen.
»Hmm«, brummte Engelsflügel spitz als Antwort auf die Kätzin. Sie wollte sie nicht damit quälen, es war nichts persönliches, doch nachdem die Heilerin mondelang nach ihrem Nachfolger gesucht hatte, in der Angst, dass der DonnerClan ohne jemanden zurückbleiben würde, gefiel es ihr nicht, die kostbare Zeit, die sie in Edeljunges' Ausbildung steckte, zu verschwenden. Doch mehr als das spitze Brummen äußerte sie nicht. Stattdessen nickte sie nur noch, wandte sich dann allerdings ab und packte eine Maus vom Frischbeutehaufen.

Während die Versammlung einberufen wurde, trottete Engelsflügel beleidigt durch den Farntunnel und zurück zu Tulpenfluss. Der cremefarbenen Kätzin schnitt sie - eher schlecht als recht - die Hälfte des Mäusefleischs raus, dann fraß sie den Rest davon. Sie interessierte sich nicht groß für die Geschehnisse, die auf der Großen Versammlung gewesen waren, weshalb sie lieber schweigend neben der Kriegerin fraß.
Ihr Herz machte einen irritierten Satz, als, zu ihrer Überraschung, der Clan zu jubeln begann, und die Namen Mottenfrost und Rabennacht an ihr Ohr getragen wurden. Hatte sie gerade ihre Kriegerzeremonie verpasst? So schien es ihr, und für einen kurzen Moment fühlte sie sich deshalb schlecht.
Im nächsten Moment sank ihr Herz aus ganz anderen Gründen zu Boden. Es war gut, dass sie diesen Moment nicht sehen musste. Die Jungen waren sehr lieblich gewesen, mit großen, strahlenden Augen, doch die zwei Kriegerinnen... Engelsflügel erkannte sie kaum wieder. Mottenfrost schien noch relativ in Ordnung zu sein, auch wenn sie isoliert war und durch ihre Eigenarten auffiel. Sie konnte ein gutes Leben in diesem Clan führen, wenn sie das wünschte - und dass sie nach dem Zweiten Anführer benannt worden war, verdeutlichte ihr das.
Doch da war Rabennacht, ein einst süßes Junges, um das nun auch die Heilerin lieber einen Bogen machte. Die Kätzin war alles, was schlecht am SchattenClan gewesen war, verpackt in eine dunkle Kreatur, in deren Anwesenheit sich niemand wohlfühlte. Sie gehörte nicht hier her. Es war das Beste für die alte Kätzin, wenn sie dieser verkümmerten Kätzin nicht in die Augen blicken musste.

»Ich muss mit Honigstern sprechen«, erklärte Engelsflügel mit teilnahmslosen Ton ihrer Patientin. Die Gedanken über ihren verlorenen Clan stiegen hoch, plagten sie ein wenig. »Es wird nicht zu lange dauern.«
Das hoffte sie zumindest.
Der Lärm auf dem Lagerplatz war etwas verklungen. Hier und da raunten Katzen Neuigkeiten, tuschelten über die neuen Kriegerinnen und alles, was über die Große Versammlung gesagt werden musste. Zu ihrem Glück waren ihre alten Ohren zu taub um all das wirklich zu hören.
Unter dem Hochstein, neben den Ranken, die die Öffnung zum Anführerbau verbargen, ließ sie sich nieder und beobachtete ein wenig das Treiben. Dank des Sonnenlichts sah sie verhältnismäßig viel, fühlte sich dennoch nicht wohl. Dieser Clan sollte ohne sie leben können. Wie andere Katzen, die hier herum strömten, war sie ein Relikt aus einer anderen Zeit. Eine Erinnerung an einen Ort, den es nicht mehr gab.
Und bald würde sie ihren vorletzten Schritt tun, um zu einer Erinnerung zu verblassen.