Kleines Waldstück

---> WolkenClan-Lager [WolkenClan-Territorium]


Der kühle Wind strich durch mein aufgestelltes Fell und der Wind wirbelte mir die locker fallenden Flocken ins Gesicht, als ich meinem Mentor zum kleinen Waldstück folgte. Ich hatte die Blattleere eigentlich nie gemocht und vermutlich mochte keine Katze den Beutemangel und die Kälte die diese Zeit mit sich brachte, aber in diesem Moment hatte ich das Gefühl, ihr doch langsam etwas abgewinnen zu können. Vielleicht auch nur für einen Augenblick, weil das Heulen des Windes uns von der übrigen Welt noch mehr abzuschirmen schien als sonst und ich mit meinem Mentor beinahe allein war.
Am Rand des kleinen Waldstücks kam ich bei Nebelherz zum Stehen. Schnee war hier nur wenig liegen geblieben, aber trotzdem war die Luft feucht und nass. Als mein Mentor zu sprechen begann nickte ich. Was er sagte schien Sinn zu machen. Hier zwischen den Bäumen und im kargen Unterholz fanden die Beutetiere doch mehr Schutz als irgendwo draußen auf der Ebene. Wäre ich ein Kaninchen, würde ich mich auch hierher zurückziehen, ging es mir durch den Kopf. Oder wenn ich ein Vogel wäre und es zu windig wär zum Fliegen. Ich könnte aber auch-
Mein Gedankengang wurde unterbrochen, als Nebelherz mich fragte, ob ich etwas wittern konnte, weshalb ich nach einem kurzen Moment die Nase hob und das Maul ein wenig öffnete. Hier war der Wind durch die Bäume etwas gedämpfter, was mir die Aufgabe ein klein wenig erleichterte, schon allein weil ich nicht ganz so stark von anderen Sinneseindrücken abgelenkt wurde. Hm. Eine Jagdpatrouille muss hier gewesen sein, miaute ich einen Moment später, als ich mir sicher war, dass meine Nase mich nicht in die irre führte. Vielleicht am Morgen, der Geruch ist nicht ganz frisch, glaube ich. Eigentlich war ich mir ziemlich sicher und meine Nase hatte mich genau wie meine Ohren bislang nur selten getäuscht, aber ich war nicht die Art von Katze, die mit solchen Tatsachen geprahlt hätte. Stattdessen suchte ich weiter. Maus auch, miaute ich. Und es müsste ein Vogel in der Nähe sein? Ich legte nachdenklich den Kopf schief. Oder zwei? Jetzt war ich mir doch nicht mehr so ganz sicher, aber Nebelherz ging jetzt ohnehin schon auf die nächste Übung ein, die mir doch tatsächlich ein leichtes Leuchten in die Augen zauberte.
Klettern!
Es gab wenige Dinge, die ich lieber machte als klettern. Schon allein um allein zu sein, lohnte es sich, irgendwo auf der Ebene auf einen Baum zu klettern, am besten nach ganz oben, wo niemand nach einem suchte, nur um ein paar angenehme lange Momente in Gesellschaft der eigenen Gedanken zu verbringen. Das hier aber war natürlich Training, weshalb ich aufmerksam beobachtete, wie Nebelherz an einen der Bäume herantrat und sich auf einen der unteren Äste nach oben zog, bevor er begann mir zu erklären, wie wichtig die Fähigkeit zu klettern für einen WolkenClan-Krieger war. Damit hatte er wohl Recht und ich dachte mit Schauer zurück, als er den Kampf gegen die Hunde erwähnte, der auch Blasspfotes Leben gekostet hatte.

Okay, miaute ich schließlich nach einem Moment des Gedenkens an meine Baukameradin. Wäre Nebelherz das nicht von mir gewohnt gewesen, hätte er vielleicht vermutet, dass ich mich vor dem Klettern fürchtete, aber damit hätte er nicht weiter danebenliegen können. Ich kletterte gerne und meiner Meinung nach war ich nicht unbedingt schlecht daran, auch wenn ich meine Fähigkeiten deswegen trotzdem nicht überschätzen wollte. Mein Mentor hatte durchaus Recht. Ein einziger Blick und die Tatsache, dass es schneite verrieten mir, dass die Rinde wirklich glatt war und ich aufpassen musste. Mich zu überschätzen würde nicht helfen und mich vielleicht zu einem Fehler verleiten.
Lieber wollte ich aufpassen.
Endlich begann ich mich zum ersten Ast hochzuziehen, vorsichtig aber doch, wobei ich meine Krallen tiefer in das Holz grub, um nicht abzurutschen. Unendlich viel geklettert war ich auch noch nicht, aber gerade darum war Training auch wirklich gut und hilfreich. Ich wusste, Nebelherz würde mir helfen, wenn ich es musste, aber ich ließ mir lieber Zeit, als einen unvorsichtigen Schritt zu machen, weshalb ich dem Krieger langsam aber doch sicher nach oben folgte.
Früher oder später würde ich auch bei diesen Bedingungen schneller sein, aber jetzt war die Rinde feucht und damit hatte ich noch keine Erfahrung.

Die Rinde war wirklich feucht und mein Mentor hatte nicht unbedingt den leichtesten Baum in der Umgebung ausgesucht, sodass ich ab und zu Inne hielt, um mir die nächsten Bewegungen genau zu überlegen. Dann aber folgte ich ihm weiter und der ältere Kater gab Acht, mich auf besonders schwierige Stellen hinzuweisen. Das gestaltete die ganze Sache ein wenig einfacher, weshalb ich ihm ohne gröbere Schwierigkeiten und nur manchmal kurzem Nachdenken nach oben folgte. Die Höhe machte mir selbst nichts aus, wenn auch der Wind stärker wurde und mir das Fell immer stärker sträubte - sofern das überhaupt noch möglich war.  
Oben angelangt staunte ich erst einmal und genoss einen Moment lang das kalte Heulen des Windes um meine Ohren, bevor ich den Blick über das Gebiet vor uns schweifen ließ, auf das Nebelherz meine Aufmerksamkeit lenken wollte. Von hier aus konnte man so gut wie das ganze Territorium des WolkenClans überblicken! Von der Lichtung, die die Grenze zum DonnerClan darstellte, bis hin zu den Gärten der Zweibeiner am Rand des Zweibeinerorts. Meine Schweifspitze zuckte leicht, als ich mir vorstellte, dass die anderen Clans nie auf diese hohen Bäume klettern würden - nicht einmal die DonnerClan-Katzen taten das gerne, soweit ich wusste. Mein kleines Herz pochte und meine Schnurrhaare zuckten leicht, als er sich fragte, warum der Clan nicht immer ein paar Späher in den Bäumen behielt. Die Chance, dass sie einen Angriff kommen sahen oder Zweibeiner, die sich dem Lager näherten, war so doch viel höher. Natürlich konnte eine DonnerClan-Patrouille sich erst einmal um die Lichtung herum im Schutz der Bäume nähern, aber irgendwann mussten auch sie das offene Land betreten und ein WolkenClan-Späher hätte zumindest eine Chance, sie zu entdecken. So könnten schwere und lange Kämpfe vermieden werden, ging es ihm durch den Kopf. Ein Überraschungsangriff könnte eine feindliche Patrouille schnell verjagen.
Kurz sah ich zu Nebelherz und nickte. Denkst du der DonnerClan könnte uns von dort unten sehen?, fragte ich den älteren Kater nachdenklich. Ich selbst glaubte nicht, dass es so war zumindest zwischen Blattfrische und Blattfall. Immerhin würden die übrigen Bäume ihnen den Blick nach oben verdecken und zwischen den Blättern hindurch eine Katze aus dieser Entfernung auszumachen würde schwierig sein - selbst mit meinem orange getigerten Fell. Jetzt aber waren die Äste kahl. Die braunen Äste würden zwar trotzdem einen guten Teil der Sicht verdecken, aber mein Mentor konnte das vielleicht besser einschätzen.

Ich nickte nachdenklich bei Nebelherz Worten. Offenbar hatte unser Clan lange nicht mehr gegen den DonnerClan gekämpft oder zumindest nicht zur Zeit meines Mentors. Nicht dass ich gerne gekämpft hätte, denn im Kampf ging alles so schnell und ich nahm an, dass die Situation für mich erst dann bewältigbar war, wenn ich das Handeln meines Gegners gut einschätzen und gut auf die vorhandenen Möglichkeiten reagieren konnte. Bis dahin würde es wohl noch einige Zeit dauern, aber an der Einschätzung meines Mentors schien etwas dran zu sein. Die DonnerClan-Katzen würden wohl nicht so darauf achten, was über ihren Köpfen in den Bäumen geschah und wenn wir uns leise verhielten, konnten wir so leicht einen Überraschungsangriff durchführen. Eine Angriffspatrouille meines Clans würde im DonnerClan-Territorium genau wie auf unserem die Vorteile des Waldes nutzen können, während eine angreifende DonnerClan-Patrouille sich zunehmend auf offeneres Gebiet begab, in denen das Unterholz sie nicht mehr wie gewohnt schützen würde, während unser Vorteil bestehen blieb.
Auf Nebelherz Wort hin folgte ich dem Blick des Kriegers zu der erspähten Beute und meine Muskeln spannten sich an, als der ältere Kater mich fragte, ob ich versuchen wollte, den Vogel zu fangen. Für einen Moment zögerte ich, während ich die rutschige Rinde bedachte, die inzwischen aber durch die kühlen Sonnenstrahlen etwas getrocknet war. Eigentlich war ich kein schlechter Jäger und irgendwann sollte ich wohl anfangen in den Bäumen zu jagen. Mein Mentor schien mir den Fang ebenfalls zuzutrauen und ich hoffte, dass er mir helfen würde, sollte ich in eine gefährliche Situation geraten.
Langsam nickte ich also und schob mich an dem Kater vorbei nach vorne. Noch einen Augenblick lang beobachtete ich den Sperling, der sich wohl zum Ausruhen niedergelassen hatte. Wenn er mich bemerkte, würde er wohl aufflattern und dann musste ich entsprechend reagieren. Wenn ich aber keinen Laut machte und schneller war ... zumindest im Moment wandte mir das Tier den Rücken zu. Ich wartete aber noch auf ein bestätigendes Nicken oder ein Wort von Nebelherz, das mir andeutete, dass der Krieger wusste, was ich tat und im Notfall einschreiten würde.