Krieger der Nacht

Kühler Wind fegte über die Lichtung. Die braunen Herbstblätter flogen durch die kalte Luft.und landeten vor meinen Pfoten. Ich spürte sie schon fast nicht mehr, aber ich wusste, dass ich irgendwann gezwungen war, sie wieder zu bewegen. Ich hörte schon das fiese Geschrei der Feinde weit hinter mir. Doch auch wenn es sich noch so weit anhörte, ich war mir sicher, sie würden nicht mal mehr als ein paar Sekunden brauchen, um direkt neben mur zu stehen, sodass ich ihren kalten Atem auch durch mein Fell spüren konnte. Mir schauderte es, als ich daran dachte und verdrängte diese Gedanken schnell aus meinem Kopf und ging voran, in die Mitte der dunklen Lichtung. Ich hatte solche Angst, doch ich musste mich ihnen stellen. Dies hier war die einzige Möglichkeit. Kleine Tropfen fielen vom Himmel. Das Zeichen der Wölfe der ewigen Zeiten. Das Zeichen, dass ich sterben würde. Ich atmete nocheinmal tief durch, bis die Kreaturen mit wiederlichen Kampfgebrüll durch das Gebüsch brachen, und mich umzingelten. Ich schüttelte mein feuerrotes Fell, das nur wenige Wölfe besaßen, und ging mit stolzem Gesichtsausdruck auf die Wesen zu. Ihre gespreizten Finger bogen sich. Immer und immer wieder. Doch davon ließ ich mich nicht einschüchtern. Niemand wusste was sie waren, nochnicht mal der weiseste, älteste Wolf unseres Clans. Man wusste nur, dass sie sich von Schatten ernährten und sie Wölfe über alles hassten. Außerdem sind sie schnell und verbergen sich vor dem Tageslicht. Ich schnaufte wütend und starrte die Biester durch glasigen Augen an. Sie kamen immer näher bis einer von ihnen direkt vor meiner Schanuze stand und mich anhauchte. Ich zuckte noch nicht einmal zusammen was mich sehr verwirrte, da ich eigentlich viel mehr Angst hatte, als ich jetzt zeigte. Das Ding vor mir hob eine seiner Hände und wollte grade zuschlagen, doch urplötzlich brach grelles Licht aus der Wolkendecke über uns und mein Pelz glänze durch den Regen, der bis grade noch fiel. Die Geschöpfe, die wir Tagesfresser nannten, rannten schreiend in alle Richungen. Ich hörte ihr Kreischen noch Meilenweit hinter mir. Verwirrt stand ich da. Auf der leeren Lichtung, wo das Graß platt getrammelt wurde von Tausenden von gruseligen Wesen, die nur in wenigen Sekunden wieder weg waren, ohne jeglichen Grund...

Ich ging erschöpft und verwirrt durch den nassen Wald. Erschöpft, weil ich mir den Kopf zerbrach, was ich jetzt meinem Clan sagen sollte. Ich sollte die Tagesfresser auslöschen, doch ich hatte es nicht getan. Ich hätte wenigstens einen von ihnen schnappen können, aber ich hatte es nicht getan. In meinem Kopf schwirrten die Gedanken umher. Ich versuchte sie zu ordnen, aber das war ein Fehler, denn davon tat mein Kopf noch mehr weh. Ich beschloss, einfach gar nicht mehr zu denken, sondern nur noch ins Lager zurückzukehren. Das Laub wirbelte um meine Pfoten, als ich an ihnen vorbei rannte. Immer als ich auf den Boden aufkam, knackste hier und da irgendetwas und leise, fiepende Geräusche waren zu hören. Normalerweise hätte ich diese Mäuse jetzt gefangen, aber im Moment waren sie mir eigentlich egal. Genauso wie mein Hunger mir im Moment egal war.

Meine Beine trugen mich sofort in das Lager, ohne dass ich auch nur einen Gedanken an das Geschehen vorhin verschwendet hatte. Wir Wölfe können unser Gehirn nämlich von vielen Dingen befreien. Aber leider nur für kurze Zeit. Als ich auf der Lichtung stand, kamen alle aus ihren Bauen und umringten mich mit tausend Fragen. Ich schüttelte immer nur den Kopf und wollte so schnell es ging zu unserem Anführer, der komischerweise nur neben seinem Bau stand, und mich giftig betrachtete. Mir schauderte es abermals. Diesen Blick kannte ich. Ich hatte irgendetwas falsch gemacht.
Ich schlich mich vorsichtig aus der Menge, nachdem alle jetzt ihre eigenen Geschichten erzählten, und ging zu dem schwarzem, großem Wolf Night. Ich neigte respektvoll den Kopf doch er beachtete es gar nicht erst. "Du bist nicht tot. Ich habe den Regen fallen sehen. Du bist geflüchtet." Meinte mein Anführer ruhig und sah in den Himmel, der nun strahlend blau war. "Ich kann das..." "Schweig still!" Ich fuhr zusammen und kauerte mich zu Boden. "Du hast deine Aufgabe nicht erfüllt! Du wurdest Monatelang dazu ausgebildet gegen sie zu kämpfen. Und du hast Angst und rennst weg?! Das ist eine Bloßstellung unseres Clans. Du hast versagt." Seine Stimme wurde schärfer und jetzt starrte er mich durch wütenden und enttäuschten Augen an. "Hör mir bitte zu! Ich..." Und schon wieder unterbrach er mich. "Du bist es nicht wert in diesem Clan zu sein. Ich verbanne dich!" Und mit diesen Worten starrten mich plötzlich alle an. Alles lag still da und ich war im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit aller.

Ich starrte alle Angehörigen entgeistert an, dann wandte sich mein Blick zu Night, der irgendwie hämisch zu lächeln begann. "Rebecka! Oder eher gesagt 'Becky'! Du bist hiermit aus dem Clan der Wölfe gestoßen. Wenn wir dich sehen, werden wir nicht scheuen, dich um zu bringen. Denn du hast uns verraten." Rief Night. Und ich hatte ihn immer als klug und weise empfunden. Erst jetzt bemerkte ich die Gier in seinen blassen Augen. Die Gier nach Macht und Ansehen. Ich wollte erst gar nicht versuchen mich rauszureden, da ich jetzt nichts mehr zu sagen hatte. Und auch so könnte ich nie mehr machen als Night. In meinen Augen einstanden Tränen. Ich blinzelte das umgeweinte Wasser schnell weg, schaute alle noch einmal traurig und feindselig an, dann rannte ich aus dem Lager. Ich hörte noch die angewiderten Rufe meiner einst netten Clanmitgliedern, doch auch die verstummten irgendwann. Genauso wie der Ruf in meinem Kopf, wieder um zu kehren. Ich war immer so loyal, und so dankten sie es mir. Ich wusste nicht wie so etwas jemals geschehen konnte. Ich konnte noch nicht einmal etwas dagegen sagen. Jedenfalls wusste ich jetzt, wie mein damaliger Anführer wirklich war. Ich musste alle vergessen. Meine Beine trugen mich schneller aus dem Wald, an der Lichtung vorbei, auf der ich grade noch den Schock meines Lebens erlitten hatte, und weiter, bis ich schon das Gehupe der Autos in der Stadt hörte. Genau neben unserem Wald lag eine Großstadt, doch keiner von den Menschen traute sich hier herein. Niemand, noch nicht einmal die Jäger. Ich rannte weiter. Die Laute der Menschen wurden lauter, bis ich durch die Schatten der Bäume auch schon die ersten Häuser sehen konnte. Plötzlich hörte ich Rufe, und urplötzlich fand ich mich auf dem Boden wieder. Ich wollte mich aufrappeln, doch über mir wurde ein Netzt gespannt. So stramm, dass ich mich nicht mal mehr bewegen konnte. Und dann spürte ich etwas spitzes an meinem Bauch. Mir wurde schlecht und mein Körper taub, bis ich nicht mehr mitbekam, was passierte.

Als ich aufwachte, fand ich mich auf weichem Boden wieder. Er roch nicht nach Wald, sondern hatte einen eigenartigen, künstlichen Geruch. Ich versuchte meinen Kopf zu heben, um mich um zusehen, doch ich war zu schwach. In meinen Ohren dröhnte es gewaltig, aber ich wusste, dass es ein innerliches Geräusch war, und nicht ein akustisches. Ich atmete schwer ein, mein Brustkorb tat davon weh. Plötzlich spürte ich etwas warmes an meinem Rücken. Ich wollte mich währen, doch ich konnte mich immer noch nicht bewegen. Außer ein kleines Zucken brachte ich nichts zu Stande. Das kleine, warme Ding fuhr meinen Rücken lang bis zu meinem Kopf. Es war angenehm aber doch irgendwie ungewohnt. Ich ließ ein leises Knurren von mir. Sofort wich das behagliche Etwas von mir und ein leises Quieken war zu hören. Ich erschrak selber. Langsam tat es nicht mehr weh zu atmen, und ich spürte meine Knochen wieder. Ich reckte mich und fuhr langsam mit dem Kopf hoch. Und wie ein Wunder ging es diesmal. Als ich mich umschaute, sah ich einen kleinen Mensch. Der Mensch hatte schulterlange Haare und sah mich mit schreckgeweiteten Augen an. So eine kleine Person hatte ich noch nie in meinem Leben gesehen. Mein schräg gelegter Kopf beobachtete den kleinen Menschen fragend. Doch als die Kleine grade näher zu mir kommen wollte, kam auf einmal ein großer Mensch durch einen Holzrahmen und fing an zu kreischen. Sie zog den kleinen Menschen mit sich hinaus und rief: "John. John. Er ist aufgewacht!" Ja, ich konnte Menschensprache verstehen. Ich hatte sie bei unserem Ältesten studiert. Aber jetzt war ich erstmal wieder alleine. Ganz alleine. Dort, wo ich noch nichteinmal wusste, wo ich überhaupt war.

Mein Blick wanderte durch die "Menschenhöhle". Ich verspürte keine Angst, trotzdem war mir nicht wohl, bei der ganzen Sache. Und ich wusste ja überhaupt noch nicht einmal, was diese Menschen von mir wollten, aber ich hatte so ein Gefühl, dass es nichts böses war, auch wenn sie mich betäubt in einem Netz hierher gebracht hatten. Schon komisch. Ich hatte in meinen letzten Lebensjahren viel gelernt. Über Menschen. Über Tiere. Ich hatte gelernt, dass Menschen normale Geschöpfe waren und manche von ihnen nichts gemeines wollten. Ich hörte Stimmen von den Leuten. Unter ihnen war der weibliche Mensch, den sie Frau nannten. Die Frau hatte den kleinen Menschen von mir weg gezerrt, als wenn ich ihm etwas böses antun würde. Das stimmte mich traurig. Die Stimmen kamen näher und wenige Sekunden später standen alle drei im Raum. Ein großer, muskulöser Mann, der trotzdem sehr nett aussah, die Frau und die Kleine. Alle musterten mich erst einmal, dann kam der Mann zu mir. Ich roch, dass etwas in seiner Hand war. Es war etwas zu Fressen. Er blieb in Sicherheitsabstand stehen und warf mir ein Stück Fleisch zu. Erst jetzt bemerkte ich meinen Hunger und stürzte mich gierig auf den Brocken und fraß so schnell ich konnte, ohne dem Gewissen, dass da eventuell etwas drin sein könnte, was mich wieder betäubt, oder schlimmer, vergiftet. Aber ich spürte nicht den Hauch von Gift in mir.
Als ich geendet hatte, schaute ich wieder auf. Alle drei hatten mir schweigend mein fressen zugesehen. Ich schaute nach draußen, durch ein Ding, was sich Fenster nannte. Ich konnte auf den Wald blicken. Ein kleiner Vogel ließ sich vor der Glasscheibe nieder, und zwitscherte fröhlich. Ich lächelte innerlich. Der Mann kam abermals etwas näher und tätschelte mir den Kopf. Seine Finger waren genauso warm, wie die, von der Kleinen.
Eine Weile verstrich ohne ein einziges Wort, oder ein Laut, bis ich plötzlich ein nervendes Kratzen an der Scheibe hörte. Ich wandte mich zum Fenster und schaute geradewegs in das fiese Lächeln eines Tagesfressers.